Was mich an Kafka hält,

ist, dass der sich nie was vormachte. Nie saß er mit dieser satten Selbstzufriedenheit über seinen Texten, die einem so oft die Haare zu Berge stehen lässt. Kafka war immer ehrlich. Bei ihm gabs nie großen Reden.

„Die Bitterkeit, die ich gestern Abend fühlte, als Max (Brod) bei (Oskar) Baum meine kleine Automobilgeschichte vorlas. Ich war gegen alle abgeschlossen und gegen die Geschichte hielt ich förmlich das Kinn in die Brust gedrückt. Die ungeordneten Sätze mit Lücken, dass man beide Hände dazwischen stecken könnte; ein Satz klingt hoch, ein Satz tief, wie es kommt; ein Satz reibt sich am andern wie Zunge an einem hohlen oder falschen Zahn; ein Satz kommt mit einem so rohen Anfang anmarschiert, dass die ganze Geschichte in ein verdrießliches Staunen gerät; manchmal sieht es aus wie ein Tanzkurs in seiner ersten Viertelstunde. Ich erkläre es mir damit, dass ich zu wenig Zeit und Ruhe habe, um die Möglichkeiten meines Talentes in ihrer Gänze aus mir zu heben. Es kommen daher immer nur abreißende Anfänge zu Tage, abreißende Anfänge z.B. die ganze Automobilgeschichte durch. Würde ich einmal ein größeres Ganzes schreiben können, wohlgebildet vom Anfang bis zum Ende, dann könnte sich auch die Geschichte niemals endgültig von mir loslösen und ich dürfte ruhig und mit offenen Augen als Blutsverwandter einer gesunden Geschichte ihrer Vorlesung zuhören, so aber läuft jedes Stückchen der Geschichte heimatlos herum und treibt mich in die entgegengesetzte Richtung. Dabei kann ich noch froh sein, wenn diese Erklärung richtig ist.“
(Tagebücher, 5.9.1911)

Und das sagt, wohlgemerkt, einer der Größten aller Zeiten.
Auch schön, im November 1910, erratisch mitten im Heft:

Der kleine Ruinenbewohner

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12 Responses to Was mich an Kafka hält,

  1. Georg says:

    Ja, das fehlt den heutigen Autoren. Und zwar fast allen, deren Bücher ich lese: keine Spur von Selbstkritik. Oder Einsicht. Hauptsache, das Zeug wird veröffentlicht und bringt Geldes.

    Ach.

  2. christiane says:

    Die Leute haben eine wahnwitzige Scheu, sich selbst in Frage zu stellen oder jemanden an ihren Zweifeln teilhaben zu lassen. Also tun sie das Gegenteil.
    Vielleicht gehe ich deswegen jetzt so sehr in die Comedy rein, weil ich da den allgemeinen Irrsinn kriege von Leuten, die das noch wagen … ich flüchte mich geradezu in Comedy.

  3. Georg says:

    Dieser Dating-Experte ist ein schönes Beispiel. Ich mag ja George Carlin sehr – hast du noch mehr davon? Noch andere?

  4. christiane says:

    HBO kann man auf Youtube abonnieren, die haben sich – neben Boxen – auch auf Comedy spezialisiert.
    Zuletzt habe ich das geschaut:
    http://www.youtube.com/watch?v=OKY6BGcx37k

    Jerry Seinfeld bringt auf seiner Seite jeden Tag 3 Clips
    http://jerryseinfeld.com/ Er ist mehr der „observational comedian“, denn der provozierende … aber trotzdem, ich mag seine Sachen …

    Und er macht im Netz „Comedians in Cars getting coffees“ – das ist zwar nicht rasend witzig, aber man klickt von da weiter … besser als Fernsehen ist es alle mal …
    http://comediansincarsgettingcoffee.com/

    Das ist ja ein riesiges Feld … denk nur an die Engländer, Rowan Atkinson, Stephen Fry, die Monty Pythons …

    Für Deutschland ist 3sat gut für Comedy; und Nightwash läuft auf Einsfestival, glaube ich, das kriegt man über Zattoo …
    http://de.wikipedia.org/wiki/NightWash

    Für Comedy ist Twitter gut … die treiben sich auf Twitter rum.

    George Carlin kenne ich noch nicht … *surft …

  5. christiane says:

    Kafka hat in seinen Tagebüchern auch Lorioteinlagen geschrieben, hier über eine Lesung (er steckt ja im Prager Literaturbetrieb):
    (27.11.1910) Bernhard Kellermann hat vorgelesen; einiges Ungedruckte aus seiner Feder, so fing er an. Scheinbar ein lieber Mensch, fast graues, stehendes Haar, mit Mühe glatt rasiert … Er ist ein mittelmäßiger Schriftsteller mit guten Stellen, auch ein ehrlicher Mensch, der lesen will, was er versprochen hat, aber das Publikum ließ ihn nicht, aus Schrecken über die erste Nervenheilanstaltgeschichte, aus Langeweile über die Art des Vorlesens gingen die Leute immerfort einzeln weg mit einem Eifer, als ob nebenan vorgelesen werde. Als er nach der ersten Drittel der Geschichte ein wenig Mineralwasser trank, gingen eine ganze Menge Leute weg. Er erschrak. Er ist gleich fertig, log er einfach. Als er fertig war, stand alles auf, es gab etwas Beifall, der so klang, als wäre mitten unter allen den stehenden Menschen einer sitzen geblieben und klatschte für sich. Nun wollte aber Kellermann noch weiterlesen, eine andere Geschichte, vielleicht noch mehrere. Gegen den Aufbruch öffnete er nur den Mund. Endlich, nachdem er beraten worden war, sagte er: Ich möchte noch gerne ein kleines Märchen vorlesen, das nur 15 Minuten dauert. Ich mache 5 Minuten Pause. Einige blieben noch, worauf er ein Märchen vorlas, das Stellen hatte, die jeden berechtigt hätten, von der äußersten Stelle des Saales mitten durch und über alle Zuhörer hinweg hinauszurennen.“

  6. christiane says:

    Und natürlich Larry David. Meine Theorie ist, dass er durch Zeitverschiebung – geb. in Brooklyn – in der gleichen Stunde geboren wurde wie Kafka in Prag (der eine 2. Juli, der andere 3. Juli). Er macht jedoch nur alle paar Jahre Stand-up, und dann mehr als Gastredner. Nie ein Programm (stagefright).
    http://www.youtube.com/watch?v=TcrzC_T_XOs

  7. Georg says:

    Du bist ein Born guter Links, meine Liebe. Vielen, vielen Dank. Hast du George Carlin gefunden? Hatte auch einmal einen Gastauftritt in „Dogma“ als Bischof oder Erzbischof oder so: „Buddy Christ“. Köstlich. Wieso kennst du den nicht? Ich hab schon ein paar Mal auf ihn hingewiesen…

    * weint leise

    http://www.youtube.com/watch?v=7W33HRc1A6c
    („Save the bees, save the trees, save the whales, save those snails“. Und: „The planet is fine, the people are fucked.“ Und: „The earth isn’t going anywhere. We are!“

  8. Georg says:

    Sorry, misquote. Originally it is: „The planet isn‘ going anywhere – we are!“

  9. Georg says:

    http://www.youtube.com/watch?v=CE8ooMBIyC8

    Carlin über die Ten Commandments. Undsoweiter…

  10. Georg says:

    Das ist auch gut: http://www.youtube.com/watch?v=Kgj4ARfAqI0

    Auf die Bibel schwören… und Menschenrechte…

  11. christiane says:

    Ach ja doch! Schon verstorben … ja, das ist sehr schön. Rr hat auch HBO-Comedy Specials gemacht. Und wichtige Referenz für Louis Ck:
    http://www.youtube.com/watch?v=R37zkizucPU
    :)

    Die HBO-Specials Stand-Up findet man übrigens hier:
    http://www.youtube.com/results?search_query=Stand+up+HBO&page=&utm_source=opensearch
    Ich ziehe mir immer eins rein, wenns mir langweilig ist oder mich jemand genervt hat …

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