(Diese Rezension erschien zuerst am 6. Juni 2012 im LitMag)
Geniales Biest
Was haben Stephen Fry und Franz Kafka gemeinsam? Erstens: Sie sind beide Genies. Zweitens: Sie können beide keine Romane schreiben. Was ihrer Beliebtheit bei uns keinen Abbruch tut. Für eine kleine Literatur!, könnte man ihnen mit Gilles Deleuze und Félix Guattari zurufen – in Stephen Frys Fall hieße das: Ein Hoch auf sein Blog. Auf sein Twitter. Und auf das seiner Frau. Denn hier ist Fry das, was er am besten kann: ein Nomade, ein Zigeuner, ein Marodeur. Wie ein Vampir saugt er uns in seine Sprache und in seine Aufmerksamkeit hinein. Er macht kollektive Zustände sichtbar, die auch die unseren sind. Von Christiane Geldmacher.
Wir alle lieben Stephen Fry. Unsere tägliche Dosis des rührigen Engländers können wir uns von seinem Twitter holen. Dort findet er, sprachlich brillant, die richtige Mischung aus Kommentaren, Witzchenenreißen, Aufregern und Eigenbewerbung. Der Mann ist der geborene Kommunikator. Selbst wenn er mal daneben liegt, macht das nichts. Denn plusminus erfahren wir immer, warum.
Und wir erinnern uns auch sehr gern an seine Fernsehauftritte: mit Rowan Atkinson in Black Adder oder mit Hugh Laurie in A bit of Fry & Laurie und Jeeves & Wooster. Wieder ist es die kleine Form, mit der er uns unterhält, die Sketche. Hier ist Fry wunderbar. Überhaupt ist er wunderbar: Als Schauspieler, Regisseur, Comedian, Fernsehmoderator, you name it.
Zu viel gewollt
Nicht ganz so wunderbar sind seine Romane. Sie gehen oft schief in einer Mischung aus zu viel gewollt und zu zerfasert. Wir denken an Der Lügner, an Das Nilpferd oder an Der Sterne Tennisbälle: Etwa zwei Drittel der Bücher sind gut und amüsant, dann dreht Fry ab. Man überfliegt den Rest, um zu sehen, ob er nochmal die Kurve kriegt. Meistens kriegt er sie nicht.
„Das heimliche Tagebuch der Edna Fry“ ist auch kritisch. Dabei ist die Idee gut: Stephen Fry schlüpft in die Rolle seiner „Ehefrau“ Edna Fry und reflektiert Stephen Fry. Das ist hübsch selbstironisch, dauerironisch, ein bisschen zu eitel. Mit ein bisschen zu viel Esprit. Ein bisschen zu vielen Pointen. Und ein bisschen zu sehr gemascht.
Denn „Ednas“ Einträge folgen immer dem gleichen Muster. Erst kommt ein Alltagsgeschehniss, dann der Gag. Alltagsgeschehnis/Gag, Alltagsgeschehnis/Gag, Alltagsgeschehnis/Gag. Das verbraucht sich. Es ermüdet. (Und man stelle sich das einmal vor: Fry, ermüdend!)
Das klingt zum Beispiel so:
2. Februar, Mittwoch. Heute Morgen klingelte die Wohlfahrt, aber ich hab´sie nicht ins Haus gelassen. Letztes Mal wollten sie uns die Kinder zurückgeben.
Oder so:
4. Februar, Freitag. Sind heute Nachmittag ins Gartencenter gefahren. Gekauft haben wir nichts. Wir tun nur so gern so, als hätten wir einen Garten.
Oder so:
6. Februar, Sonntag. Bin heute Morgen vom Klang der Kirchenglocken erwacht. Muss den Kindern noch sagen, wir sollen sie zurück bringen, bevor der Pfarrer was merkt.
Klar? Die witzige Auflösung kommt immer im letzten Satz. Das gilt auch für die längeren Einträge. Im Grunde hat der Leser nur die Möglichkeit, das Buch nicht chronologisch zu lesen, sondern häppchenweise quer. Nicht an einem Stück, nicht an einem Tag. Obwohl, ganz ehrlich, für den häppchenweisen Fry wird man auf seinem Twitter besser bedient. Oder auf dem seiner Frau.
Versuchen wir es also mit häppchenweisem Querlesen:
2. September, Freitag. Stephen ist doch ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Jetzt hat er den Spielplan der Fußballliga an die Schlafzimmerdecke geklebt. Vom Spiegel ist kaum noch was zu sehen.
Hoppla! Wieder eine Pointe, ein Kalauer – und so frivol!
Es muss nicht immer ein Buch sein
Ach ja – vielleicht lesen wir für die Kurzform doch lieber die Twitter oder das Blog von Stephen Fry, dem Vampir. Denn nirgendwo sonst können wir so schön mit ihm zusammen beobachten, würdigen, aufschreien. Ja – ein Hoch auf Frys Twitter und Blog: auf Plattformen, die er, um in der Sprache von Deleuze und Guattari zu bleiben, als literarische Maschinen nutzt. Fry ist dort, jederzeit, in Echtzeit, gegenwärtig; flüchtig sind seine Einträge, dem Augenblick geschuldet, flüchtig auch seine Kommunikation, mit seinen Lesern, mit seinen Freunden. Die Grenzen zwischen Innen und Außen verschieben sich; auch die zwischen Autor und Autor und Autor und Leser. Es geht nicht mehr um Präsentation, sondern um Produktion, Aufzeichnung, Fry fängt ein und er trägt davon. Subversiv, hinter- und untergründig.
Denn das haben nicht nur er und Kafka gemeinsam: die immerwährende, unausgesetzte Leidenschaft fürs Schreiben, ob sie sich im Roman, in der Erzählung, in Briefen, in Tagebüchern, auf Blogs oder auf Twitter äußert. Gerne auch pausenlos.
Christiane Geldmacher
Stephen Fry: Darling, fesselst du schon mal die Kinder? Das heimliche Tagebuch der Edna Fry (Mrs. Fry’s Diary, 2010). Roman. Deutsch von Ulrike Blumenbach. Berlin: Aufbau Verlag 2012. 248 Seiten. 16,99 Euro.
Zur Verlagshomepage, zur Homepage von Stephen Fry.
Zum Twitter von Stephen Fry, zum Twitter von Mrs. Stephen Fry.