Diese Rezension ist zuerst erschienen am 6. Juni 2010 im CrimeMag erschienen:
Lob des genauen Blicks
Christian Linker, geboren 1975, hat für seinen fünften Roman Blitzlichtgewitter den Hansjörg-Martin Kinder- und Jugendkrimipreis 2009 des Syndikats gewonnen. Mit dem Autor, der in Köln wohnt, hauptamtlicher Diözesanvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend ist und Romane schreibt, die sich vorwiegend im Jugendlichenmilieu abspielen, die gleichermaßen spannend und aktuell sind, hat Christiane Geldmacher gesprochen
Christiane Geldmacher: Als Sie im Mai 2009 in Singen mit Hansjörg-Martin Kinder- und Jugendkrimipreis Preis 2009 für Ihren Jugendroman Blitzlichtgewitter ausgezeichnet wurden, freuten Sie sich einerseits, diesen Preis gewonnen zu haben. Andererseits blutete Ihnen das Herz, weil Sie deswegen nicht an der – von Ihnen mit vorbereiteten – Sozialaktion 72 Stunden – Uns schickt der Himmel des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) teilnehmen konnten. Das hat Sie beschäftigt, oder?
Christian Linker: In der Tat hat mich das sehr bewegt. Es war eine schwere Entscheidung für mich gewesen, nach Singen zu fahren, und dass ich dann tatsächlich den Preis gewonnen habe, war einfach nur großartig. Aber insgesamt kommt das leider oft vor, dass ich Kompromisse machen muss, ich denke, das kennen alle, die sich beruflich nicht ausschließlich dem Schreiben widmen.
Ch. G.: Viele Autoren hängen in einem Brotberuf fest, aus dem sie raus wollen. Bei Ihnen ist das anders, Sie hängen an ihrem Job. Was genau haben Sie an diesem Samstag in Köln verpasst? Wohin hätte Sie „der Himmel geschickt“?
Ch. Linker: Erstmal ins Büro, wo wir die Aktionszentrale für das Erzbistum Köln geleitet haben. Und dann raus, einzelne Aktionsgruppen besuchen. Ein paar hab’ ich am späten Freitagabend noch geschafft, so eine Jugendgruppe, die noch gegen Mitternacht dabei war, die Uferbefestigung für einen Teich neu zu bepflanzen. Im Scheinwerferlicht standen sie in hohen Stiefeln bis zu den Knien im Wasser, hörten coole Musik und hatten tierisch Spaß. Was wieder mal zeigt, dass fun und Sinn durchaus gut zusammenpassen, wenn es um freiwilliges Engagement geht. Insgesamt 200 Kinder- und Jugendgruppen haben wir von Köln aus koordiniert – bundesweit waren es an diesem Wochenende rund 3.000. Mit insgesamt 100.000 Teilnehmern.
Solche Aktionen sind natürlich nur ein kleiner Ausschnitt meines derzeitigen Jobs. Als Dachverband von elf autonomen Jugendverbänden betreiben wir vor allem politische Lobbyarbeit für den Erhalt und die Weiterentwicklung der freien Jugendarbeit – in Zeiten knapper Kassen und eines sich immer weiter ausdehnenden Schulbetriebs eine spannende Aufgabe.
Ch. G.: Früher, sagen Sie, haben Sie gern lange und ausschweifende Vorträge vor wehrlosen Erwachsenen gehalten und viel PR gemacht. Jetzt sind Sie Diözesanvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in Köln. Machen Sie immer noch PR?
Ch. Linker: Nein. Beim BDKJ haben wir einen sehr guten PR-Referenten, der alles einspielt, so dass wir vom Vorstand bloß ab und zu schlaue Sätze in ein Mikro sprechen und uns sonst um nix kümmern müssen. Insgesamt sieht der Job so aus, dass wir die Interessen unserer Mitgliedsverbände vertreten, vor allem gegenüber dem Erzbistum Köln und der Landespolitik. Und uns darüber hinaus als Anwälte für die Anliegen der jungen Generation verstehen. Wir mischen uns überall dort in die Politik ein, wo es um die Interessen junger Menschen geht – in der Schulpolitik natürlich oder im Bereich Kinderarmut. Aber auch zum Beispiel, wenn wieder mal überall von „Jugendgewalt“ geredet wird. Bisweilen geschieht das in Form von Aktionen und Projekten, der Alltag besteht aber aus etlichen Gesprächen, Sitzungen, Konferenzen. Was allerdings spannender sein kann, als es zunächst klingt.
Ch. G.: Machen Sie das in Vollzeit?
Ch. Linker: Zumindest bekomme ich ein Vollzeit-Gehalt. Am Anfang waren das auch schon mal 80 Stunden die Woche, weil der Übergang vom Job zum Hobby fließend ist. Seit ich Kinder habe, diszipliniere ich mich stark.
Ch. G.: Wann haben Sie Zeit, Ihre Bücher zu schreiben? Immerhin haben Sie schon fünf publiziert. Sind Sie ein Nachtschreiber? Oder ein Wochenendschreiber?
Ch. Linker: Meine Arbeitszeiten beim BDKJ sind vollkommen flexibel, daher bleibt immer wieder Zeit zum Schreiben. Aber nachts klappt es seltsamerweise am Besten, da ist meine Konzentration voll da und die Kreativität auch. Und das schöne an den Nächten ist: Es ruft keiner an.
Ch. G.: Wie lange brauchen Sie für ein Buch? Also reine Schreibzeit und dann Überarbeitungszeit?
Ch. Linker: Das ist sehr unterschiedlich. Meistens eine oder zwei konzentrierte Wochen, um das Projekt auf den Weg zu bringen, mit zwei oder drei Kapiteln und einem Exposee für den Verlag. Nach Vertragsunterzeichnung liegt es leider oft einige Zeit bei mir rum, bis ich mich wieder aufgerafft kriege, mich richtig in die Sache reinzuwühlen. Dann kommt irgendwann der point of no return, wo es klick macht und ich selber plötzlich den Plot ganz klar vor mir sehe. Dann packt mich oft ein Rausch, der gut zwei Monate anhalten kann. Dann steht das Manuskript. Die Überarbeitung mit der Lektorin, das sind meistens zwei Phasen, kann jeweils einen Monat dauern. Und dann kommt das Warten auf den großen Tag der Veröffentlichung, das Fiebern auf die Premierenlesung.
Ch. G.: Gibt es dazwischen auch so etwas wie suizidale Momente? Also fragen Sie sich manchmal: Was mache ich hier eigentlich? Ich habe einen Superjob, eine Superfamilie, ich habe schon fünf Bücher draußen … ich könnte eigentlich einen Gang zurückschalten.
Ch. Linker: Nein. Aber vielleicht kommen die noch, wenn ich eines Tages das Schreiben zum Hauptberuf mache und mich frage: Warum hab’ ich all das aufgegeben?
Ch. G.: Würden Sie gern das Schreiben zum Hauptberuf machen? Oder sagen Sie sich: Das geht beides. An was arbeiten Sie zurzeit?
Ch. Linker: Im Dezember endet meine dritte Amtszeit als BDKJ-Vorsitzender und ich werde nicht wieder kandidieren, weil ich mit 34 inzwischen nicht mehr der geeignetste Jugendvertreter bin. Und wenn ich an nächstes Jahr denke, überwiegt bei mir zurzeit die Lust, mich schwerpunktmäßig dem Schreiben zu widmen. Vielleicht erst mal nur für ein Jahr, dann mal schauen, ob es Spaß macht und finanziell passt, und dann weitersehen. Es wäre schon toll, richtig Zeit dafür zu haben. Ich arbeite gerade an einem neuen Jugendroman, aber es fehlt mir noch die Zeit, daneben auch mal mit ganz anderen Sachen zu experimentieren. Und das ist mein Ziel, mich etwas mehr auszuprobieren.
Ch. G.: Worum geht es in Ihrem neuen Roman und womit genau würden Sie gern experimentieren?
Ch. Linker: Mit anderen Themen und Zielgruppen, mit anderen Gattungen – von Lyrik bis Theater interessiert mich vieles. Um was es allerdings in meinem neuen Roman geht, möchte ich vorab nicht verraten. Das tut ich nie; ist eine Art Marotte von mir.
Ch. G.: Sie sind nicht gerade das, was man einen Regionalfreak nennen würde. Ihr Roman Blitzlichtgewitter hat keinen bestimmten Ort, er könnte überall spielen. Hat das einen bestimmten Grund, dass Sie sich dem Lokalen entziehen?
Ch. Linker: Ich finde es gut, wenn der Roman quasi überall spielen kann, in jeder mittleren Großstadt irgendwo in Deutschland. Ich habe das bei meinem Buch Das Heldenprojekt so gemacht, weil es da auch stark um Lokalpolitik ging und ich gerade deswegen neutralen Boden wollte. Und irgendwie bin ich dabei geblieben. Vielleicht ist es auch so, dass ich die Story nach vorne stellen will und nicht die Kulisse der Handlung.
Ch. G.: In Blitzlichtgewitter geht es um Mobbing unter Jugendlichen und den sehr laxen Umgang mit Privatsphäre. Dabei geben Sie Ihrem Personal eine sehr starke und auch sehr unterschiedliche Figurenrede. Schauen Sie Ihren Jugendlichen aufs Maul? Kann es passieren, dass Sie mitten in einer Unterhaltung den Stift zücken und fragen: „Darf ich mir das mal aufschreiben?“
Ch. Linker: Nein, die Figurenrede entspricht eher meiner eigenen Umgangssprache. Die entspricht inzwischen auch nicht mehr ganz dem Duktus, den ich heute bei heranwachsenden Leuten höre. Wenn ich aber ganz bewusst bestimmte Ausdrücke aufgreifen und verwenden würde, bekäme die Sprache etwas Künstliches. Und ich bin mir sicher, dass das die Leser sofort bemerken würden, dass jemand versucht, sie zu imitieren. Gerade Jugendliche haben ein feines Gespür für sowas.
Ch. G.: Der Tatort gefällt Ihnen nicht, oder? Oder findet nur Ihr Protagonist Fabian in Blitzlichtgewitter, dass er zu wenig Action hat und zu viel herumpsychologisiert wird? „Tatort schauen ist wie sonntags in die Kirche müssen“, sagt Fabian.
Ch. Linker: Ab und zu seh’ ich mir ganz gerne einen Tatort an, vor allem Köln und Münster haben es mir angetan. Aber als Jugendlicher war diese Sendung für mich der Inbegriff des Spießertums und des Erwachsenseins.
Ch. G.: Sie sagen von sich, dass Sie gern mal die Grenze des guten Geschmacks verletzen. Gab’s da schon mal Ärger, weil Sie Worte wie „fuck“ in Jugendromanen benutzen? Erklären Sie das mit dichterischer Freiheit?
Ch. Linker: Ich erkläre das in erster Linie mit Notwendigkeit: Ich halte „fuck“ für ein Wort, das in bestimmten Situationen vollkommen angemessen ist, vom Klang und auch vom Schriftbild her ist es wie kaum ein anderes Wort geeignet, Zorn und Wut wie in einem Brennglas zu verdichten. Insgesamt finde ich beim Erzählen wichtig, immer wieder ein Schlaglicht in die Schmuddelecken der Gesellschaft zu werfen – sei es von der Handlung her oder eben auch sprachlich.
Ch. G.: Sie verzichten auf den billigen Thrill. Ihre Stories sind gut recherchiert und Sie geben Ihrem Helden eine Chance. Er entwickelt sich. Als sich Fabian in Blitzlichtgewitter in einer Frustsituation dazu hinreißen lässt, seine Ex-Freundin vor versammelter Mannschaft mit Nacktfotos bloßzustellen, bricht seine psychosoziale Welt auseinander. Die Familie ist sauer, die Freunde sind sauer. Von der Ex gar nicht zu reden. Aber am Ende schafft er es doch wieder, sein Schiff auf Kurs zu bringen.
Ch. Linker: Genau das ist es, was mich beim Schreiben am meisten interessiert: Ich bringe meine Figuren in prekäre Situationen und lote aus, wie sie sich unter diesen Bedingungen weiterentwickeln. Das ist in gewisser Weise immer auch ein Selbstgespräch – wie würde ich mich in dieser Situation verhalten? Welche Optionen hätte ich? An wen könnte ich mich wenden, wenn meine Welt zusammenbricht? Auf wen ist eigentlich Verlass? Was ist letztendlich überhaupt wichtig, was gibt mir Halt? Wenn ich so meine Figuren an ihre Grenzen führe und darüber hinaus, tue ich das immer auch in der Absicht, dass meine Leser in Gedanken mitgehen und vielleicht über ihre eigenen Grenzen, Ängste und Potenziale nachdenken.
Ch. G.: Nervt Sie das Label Jugendbuch? Nicht, dass Sie nicht aus der Nische raus könnten: Sie hätten die Protagonisten in Blitzlichtgewitter ja nur ein paar Jahre älter machen müssen, den Plot – sagen wir an der Uni situieren – und hätten einen „normalen“ Krimi gehabt. Gleicher Plot, gleiche Figuren, alle nur zehn Jahre älter.
Ch. Linker: Wenn ich demnächst mehr Zeit zum Schreiben habe, möchte ich gern auch andere Dinge ausprobieren. An den Helden im Jugendlichenalter fasziniert mich, dass sie noch so wenig festgelegt sind. Zugleich ist es ja das Alter, in dem einschneidende Dinge geschehen. Du bist auf der Suche nach dir selbst und deinem Platz in der Welt, bist ständig mit neuen, noch unbekannten Gefühlen konfrontiert. Das ist einfach eine schöne Basis für jeden Plot.
Ch. G.: Sie haben eine Website im Netz. Besonders gefällt uns Ihr Kontaktformular. Freuen Sie sich, wenn Leser Ihnen schreiben?
Ch. Linker: Ja, jederzeit. Und jede Mail wird beantwortet – früher oder später. Manchmal bekomme ich sehr diffizile Fragen zu meinen Büchern und weil ich keine 08/15-Antworten geben will, kann es manchmal dauern, bis ich Zeit habe, in Ruhe zu antworten. Aber ich melde mich.
Ch. G.: Herr Linker, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Foto: Wolfgang A. Noethen
Christiane Geldmacher
Christian Linker: Blitzlichtgewitter.
München: dtv pocket 2008. 224 Seiten. 7,95 Euro.
Christian Linker: RaumZeit.
München: dtv pocket 2007. 160 Seiten. 6,95 Euro.
Christian Linker: Doppelpoker.
München: dtv pocket 2007. 224 Seiten. 7,00 Euro.
Christian Linker: Das Heldenprojekt.
München: dtv pocket 2005. 256 Seiten. 7,95 Euro.