(zuerst erschienen im CrimeMag, 29. Januar 2009)
Hilfsausdruck Seelenverwandtschaft
Simon Brenner ist wieder da, Wolf Haas’ Detektiv mit Polizeivergangenheit. Er nimmt Antidepressiva, hat aber einen coolen Job als Chauffeur des wohlhabenden Bauunternehmers Kressdorf. Er karrt die zweijährige Helena zwischen Mutter und Vater hin und her, zwischen Wien und Kitzbühel. Bis ihm eines Tages an einer Tankstelle das Kind vom Rücksitz geklaut wird. 100 Entführungsstunden später weiß Christiane Geldmacher warum.
Ausgerechnet dem Brenner kommt so eine Zweijährige abhanden, einem Expolizisten, Exdetektiv. Und kurze Zeit später hat er deswegen keinen Job mehr, keine Wohnung, kein Auto. Stattdessen wird er von dem pedantischen Polizisten Peinhaupt über 30 Stunden lang verhört, der ihm unterstellt, er habe das Kind entführt.
Bald ist Brenner wieder auf freiem Fuß und macht sich daran, das soziale Umfeld der Kressdorfs abzugrasen, die, Vater wie Mutter, viele Feinde haben. Der Vater ist ein umstrittener Baulöwe mit umstrittenen Bauprojekten, die Mutter arbeitet in einer umstrittenen Abtreibungsklinik in Wien. Da könnte also jeder das Kind geklaut haben, um die Eltern zu erpressen. Allein vor der Abtreibungsklinik halten ständig irgendwelche Betschwestern ihre Transparente hoch, die einen Freudentanz aufführen würden, wenn die Klinik geschlossen würde.
Brenner ermittelt also in Wien und in Kitzbühel, in Schrebergärten und auf Almwiesen gegen Bausenatoren, Politiker und Banker. Irgendwann landet er in einer Senkgrube und begegnet dort Gott, dem einzigen Nichtverdächtigen im Buch, außer vielleicht dem fleißigen Polizisten Peinhaupt. Gott übrigens ein grundsympathischer Bursche, jedenfalls nach dem ersten Eindruck, dann wird der Brenner wieder aus der Scheiße gezogen.
Packende Actionszenen
An genregemäßer Action mangelt es dem Haaskrimi natürlich nicht: Es gibt Verfolgungsfahrten, Schusswechsel, Morde; am Schluss sind es sechs Begräbnisse, die Brenner alle besucht, um herauszukriegen, wer letztlich in der Sache alles dringehangen hat.
Natürlich geht es um hochaktuelle Themen: Die Obszönität von Erlebnisworld-Architekturen, die ganze Stadtviertel platt machen; die Obszönität von Abtreibungsdiskussionen, die um die Frage kreisen, wann genau der menschliche Fötus eine Seele hat; die Obszönität von blonden Fernsehmoderatorinnen, die „Wie-fühlen-Sie-sich“-Fragen an Problemmenschen stellen; die Obszönität von rasenmähenden, zaunstreichenden, politisierenden und autowaschenden Schrebergartenpensionisten, die ihre Bösartigkeit in Kleinkriminalität ausleben.
Ein typischer Haas’scher Absatz funktioniert ungefähr so: Mit Rede und Gegenrede, gesundem Menschenverstand und überraschender Kehrtwendung:
„Zwischen der vierundsiebzigsten und der achtundsiebzigsten Stunde hat der Brenner eine Eins-A-Ermittlung hingelegt, die nachher eigentlich nie richtig gewürdigt worden ist. Das ist alles erschlagen worden von dem Wahnsinn am folgenden Tag. Bei so einer Entwicklung ist es ganz klar, dass die Kleinarbeit untergeht. Der Hobel kann nicht jeden Span persönlich mit einer Dankesrede für die gute Mitarbeit verabschieden, und wenn ein Verbrechen einmal richtig eskaliert, wenn ein Mord von seinen kleinen Kindern, den Folgemorden, besucht wird, dann kann man einen Detektiv nicht für alles belobigen, was er richtig gemacht hat. Aber weil alle so drüber hinweg gegangen sind, möchte ich es zumindest kurz streifen. Ich muss sagen, großartig, wie der Brenner die Suche nach dem Jugomädchen eingeleitet hat. Nach der Sunny. Da ist er zu einer detektivischen Hochform aufgelaufen, wo man nur sagen kann, Hut ab. Ich weiß auch nicht, irgendwie ist es ein Zug der Zeit, dass diese Dinge niemand mehr richtig würdigt. Die saubere Detektivarbeit, die polizeiliche Routine, das handwerkliche Können haben heute keinen Wert mehr. Sogar der Brenner selber hat sich nichts dabei gedacht oder gar später darauf zurückgeblickt. Weil Handwerk selbstverständlich.“
Gute Krimis sind Geschmackssache, schlechte nicht
Es stimmt alles in diesem Krimi, der Plot, die Figuren, die Lokalität, die Spannung, die Sprache, der Witz, die Gegenwartsbezüge. Kein Wort sitzt falsch, kein Bild geht daneben, Wolf Haas ist unverwechselbar vom ersten bis zum letzten Absatz. Wenn man also den Grundcheck Plot/Figuren/Sprache etc. positiv beschieden hat und es darüber hinaus keine grottigen Ausflüge in weltanschauliche, esoterische und religiöse Parallelwelten mit Metaphysiküberdosis gibt (trotz der bemerkenswerten Begegnung mit Gott in der Senkgrube) – dann ist so ein Krimi Geschmackssache. Seelenverwandtschaft Hilfsausdruck eben.
Auf die Frage „Warum noch mal ein Brenner?“ hat Wolf Haas übrigens eine verblüffend einfache Antwort gegeben: Weil ihm noch einer eingefallen ist. Und so weit lehnt er sich jetzt schon mal zum Fenster raus: Das könnte auch jederzeit wieder passieren. Gut so. Wenn es nach seinen Seelenverwandten geht, kann er noch so viele Brenners schreiben wie Georges Simenon Maigrets.
Christiane Geldmacher
Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott. Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2009. 223 Seiten. 18,99 Euro.