(Diese Rezension erschien zuerst am 25. Januar 2012 im CulturMag)
„Mein ganzes Leben fließt in meine Arbeit“
Es gibt ein Bild von Vincent van Gogh, auf dem der Maler bei glühender Sonne mit der Staffelei in die provenzalische Landschaft hinauszieht. Das Bild „Der Maler auf der Straße nach Tarascon“ stammt aus dem Jahr 1888. Francis Bacon liebte es und ließ sich davon zu einer Serie eigener Arbeiten inspirieren. Das erste Bild der Serie zeigt, wie der Maler in der Nacht zurückkehrt. Auf dem Hut sind die Farben van Goghs aufgenommen, der Rest ist dunkel bis schwarz. Allein diese Bilderserie und der Essay über Francis Bacon und Vincent van Gogh lohnen schon die Anschaffung des Buches „Gespräche in der Nacht. Francis Bacon über seine Arbeit“.
Von Christiane Geldmacher.
Das Gemälde van Goghs gibt es übrigens nur noch als Reproduktion; es ist während des Kriegs in Magdeburg verbrannt. Francis Bacon liebte Reproduktionen, er schätzte sie mehr als die musealen, unzugänglichen Originale. Er riss sie aus Büchern und Zeitschriften heraus und bedeckte damit den Boden seiner Ateliers.
Bacon war so eine Art Kunstmessie. Es sind nicht zuletzt diese Atelierfotos, die den Menschen Francis Bacon so greifbar machen. Das Genie, das es so und nicht anders haben wollte. Nicht ohne Stolz posiert Bacon in diesem Chaos: Seine Fotos, Pinsel, Farben, Kartons, Schuhe, Zeitungen, Spraydosen – alles liegt durch- und übereinander. Gut geschildert von Michael Peppiatt, dem Autor des Buches: „Bacons Atelier, in dem seine Salatschüsseln mit Farbe und die Bilder mit Salatsoße verspritzt sein konnten.“
Gut geschildert ist der Schlüssel zu diesem Buch. Peppiatt bemerkt jede Nuance. In den „Gesprächen der Nacht“ geht es um Inspiration und Methodik, Kunst und Künstler. Dabei sind Peppiatts frei geschriebene Texte besser als die Originalinterviews mit Bacon. Bacon redete zwar gern, aber nicht in Interviews. Er gab sperrige Antworten, verkrampfte. Ein Beispiel: Michael Peppiatt stellt als Intervieweröffnung Bacon die Frage: „Vor kurzem haben Sie mir erzählt, dass Sie im Science Museum waren und sich wissenschaftliche Bilder angesehen haben.“ Er kassiert die Antwort: „Ja, aber das ist nicht von Interesse.“
Immer kurz vor der Offenbarung
Im freien Gespräch redete Bacon immer so, als stünde er kurz vor einer Offenbarung. Diese Offenbarungen versteht Peppiatt wunderbar wiederzugeben. Die druckreifen Aphorismen Bacons zu notieren, war für ihn nicht schwer, erklärt er, weil Bacon „seine Formulierungen üblicherweise wiederholt auf mich einzudreschen pflegte“.
Das Buch erzählt auch von dem Verhältnis Bacons zu anderen Malern. Er liebte ihre Arbeiten – das schützte sie jedoch nicht vor Kritik. Er wählte aus. Oft gefielen ihm nur bestimmte Techniken, oft nur eine Periode, manchmal nur ein einziges Bild. So sagten ihm Picassos späte Gemälde nichts, ihn interessierten nur die Werke der späten 20er- und frühen 30er-Jahre. Er schätzte Edgar Degas Pastelle mehr als seine Gemälde. Matisse konnte er bis auf wenige Ausnahmen nicht ausstehen: „Ich hasse seine Linie total. Ich finde seine Linie kränklich.“
Das Buch „Gespräche in der Nacht“ ist überraschend und steckt voller Liebe, Respekt und Hingabe an die Person Francis Bacon. „Beiden Malern“, so beleuchtet Peppiatt das Verhältnis zwischen Francis Bacon und Vincent van Gogh, „war nichts wichtiger, aber auch nichts durch Kunst schwerer zu erreichen, als die Wiedererschaffung eines intensiv gelebten Lebens.“
Michael Peppiatt lässt uns in dem Buch Francis Bacon sein „Lebt radikal!“ zurufen. Und da haben wir alle ja immer wieder Spiel nach oben.
Ob mit Kunst oder ohne.
Christiane Geldmacher
Michael Peppiatt: Gespräche in der Nacht. Francis Bacon über seine Arbeit. Deutsch von Kay Heymer. Wien: Piet Meyer Verlag 2011. 122 Seiten. 28,40 Euro.