(Diese Rezension erschien zuerst am 14. April 2012 im CrimeMag)
Eine irre Idee
Biografien, die gut geschrieben sind und keinem enzyklopädischen Anspruch folgen, sind ein herausragender Lesestoff. Sie verdichten ein Leben auf seine Höhepunkte. Noch besser ist es, wenn mit dieser Biografie eine Geschichte erzählt wird. So wie Sarah Kaminsky die Geschichte ihres Vaters erzählt: eines Fälschers, der sein Leben lang illegal und im Untergrund arbeitete. „Am Tag Fotograf, nachts Fälscher, das Firmenkonto immer im Minus – ich musste wie ein Wahnsinniger schuften, um über die Runden zu kommen“, sagt Adolfo Kaminsky, der heute im Ruhestand in Frankreich lebt. Von Christiane Geldmacher.
Was ein Leben – Adolfo Kaminskys Fälscherleben. Geboren wurde er 1925 in Argentinien, seine Familie wanderte 1932 nach Frankreich aus. Die Familie wohnte in Vire im Département Calvados. 1941 wurde Adolfos Mutter von den Nazis umgebracht; auf Vermittlung des argentinischen Konsuls überlebten der Vater und seine beiden Söhne.
Als Jugendlicher schloss er sich der Resistance an und fälschte Papiere für jüdische Flüchtlinge: Personalausweise, Reisepässe, Führerscheine. Aber auch nach dem Krieg machte er weiter. Jetzt waren es Papiere für jüdische KZ-Überlebende, die die Briten nicht nach Palästina einwandern lassen wollten. Kaminsky hatte eigentlich selbst vor, nach Palästina gehen, doch ihm gefiel die israelische Politik nicht – dieser Staat war ihm zu religiös orientiert. Er blieb in Frankreich.
Kaminsky wurde berühmt mit seiner Arbeit im Untergrund. Er unterhielt das bekannteste Fälscherlabor Nordfrankreichs. Dauernd sprachen ihn die Leute auf ihre Situation hin an. Auch der französische Geheimdienst nahm Kontakt auf. Kaminsky fälschte Papiere für ihn. Doch dann sagte er sich vom Geheimdienst wieder los, weil er den Indochinakrieg als Kolonialkrieg empfand und nicht daran teilnehmen wollte.
Er arbeitete lieber für die Nationale Freiheitsfront Algeriens. 1962 druckte er in Belgien einen Kubikmeter falscher 100-Franc-Noten, um die französische Währung zu destabilisieren, damit sie den Krieg in Algerien nicht weiter finanzieren konnte. Bevor dieses Falschgeld jedoch unter die Leute gebracht wurde, gab es im März 1962 einen Waffenstillstand. Kaminsky brauchte neun Monate, um die Banknoten wieder loszuwerden. Er verbrannte sie im Garten. Benutzt hat er sie nie.
Der Mann unterstützte Widerstandskämpfer und Flüchtlinge in der ganzen Welt. In Europa, Afrika, Lateinamerika. Seine letzten Papiere fälschte er 1971. Daraufhin lebte er zehn Jahre in Algier und heiratete eine Touareg, mit der er fünf Kinder hatte. 1982 kehrte er nach Frankreich zurück. Man zeichnete ihn mit dem Croix du Combattant aus.
Seine Tochter Sarah schrieb die Biografie ihres Vaters. Sie erzählt dieses Leben, sein mutiges, kämpferisches, schreckliches. Sie hat ihren Vater interviewt und dann das Interview transkribiert – was das Einzige ist, das störend wirkt. Denn die packenden Geschichten werden immer wieder unterbrochen durch plötzliche Du-Ansprachen, die den Leser von Adolfo Kaminsky wegführen – ohne dass dabei ein lebendiger Dialog mit seiner Tochter herauskäme. Das klingt dann so: „Du siehst, ich habe mich anfangs als guter Färber dafür interessiert, wie man Tintenflecken aus Kleidern rausbekommt.“ Oder: „Oh, ich sehe, du lächelst.“
Aber vielleicht hat Adolfo Kaminsky das selbst so gewollt: dass seine Tochter auch sichtbar ist in dem Text. Dann lesen wir über ein paar Eitelkeiten hinweg.
Adolfo Kaminsky wollte helfen, eine freie und gerechte Welt aufzubauen.
Eine irre Idee!
Christiane Geldmacher
P.S. Nebenbei: Das Buch lässt einen die Liebe zur Chemie besser nachvollziehen.
Sarah & Adolfo Kaminsky: Adolfo Kaminsky. Ein Fälscherleben (Adolfo Kaminsky, une vie de faussaire, 2009). Biografie. Deutsch von Barbara Heber-Schärer. München: Verlag Antje Kunstmann 2011. 224 Seiten. 19,90 Euro.Verlagswebseite zum Buch. Auf den Vattenfall-Lesetagen kann man am 22. April 2012 die einzige Lesung von Adolfo Kaminsky und seiner Tochter Sarah besuchen.